Viele Ideen für solidarische Strukturen - Interview mit Kaput Magazin zu 10 Jahre Music Pool Berlin
Im Oktober 2024 hat Kaput - Magazin für Insolvenz und Pop ein Interview mit unserer Kollegin Andrea Goetzke zu 10 Jahren Music Pool Berlin gemacht. Vielen Dank für das Interview an Thomas Venker! Auf der Kaput Website findet ihr das Interview inklusive vieler Fotos. Apropos solidarische Strukturen - hier könnt ihr die kulturjournalistische Arbeit und Engagement von Kaput unterstützen.
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Andrea, zunächst: Herzlichen Glückwunsch zum 10jährigen Jubiläum. Im heutigen Kulturbetrieb ist es ja keine Selbstverständlichkeit, dass Institutionen und Projekte eine derartige Langlebigkeit kultivieren können. Wie habt ihr den Prozess von der Idee zum Music Pool Berlin über die Genese bis hin zum aktuellen, etablierten Zustand wahrgenommen?
Andrea Goetzke: Vielen Dank. Die Idee entstand aus dem Prozess des all2gethernow e.V., der schon vor 15 Jahren gegründet wurde. Der a2n e.V. gründete sich 2009 auf die damalige Absage der Popkomm hin und deren Begründung, dass wegen des Internets das Musikbusiness am Ende sei. a2n füllte damals den Popkomm Termin mit einer partizipativen Veranstaltung, die die Situation der Musik in Zeiten des Internets erkundete und lud neben dem klassischen Musikbusiness auch Musiker*innen, Fans und an digitalen Musikprojekten Arbeitende ein. Aus diesem Impuls entstanden eine Reihe jährlicher Konferenzen und weitere Veranstaltungen. Diese rückten zunehmend Musiker*innen in den Fokus, da es damals kaum inhaltliche Angebote zu musikwirtschaftlichen und kulturpolitischen Themen gab, die sich speziell an die Bedarfe von Musiker*innen richteten. Alles an professionellem Austausch war auf die Unternehmen der Musikwirtschaft ausgerichtet.
Zu der Zeit fand ja ein Umbruch statt, dass Künstler*innen, vermittelt über digitale Dienste, ihre Geschäfte auch selbst für sich führen können, und sich nicht nur auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren und den Rest „das Business“ machen lassen. Das Narrativ der Stunde war die Verheissung des DIY, dass Musiker*innen nun die komplette Freiheit haben, alles selbst zu machen und keine Mittelspersonen mehr brauchen. DIY gab es natürlich vorher schon, wie im Punk und selbstorganisierten Strukturen – und wurde dann ins neoliberale Projekt einbezogen.
Viele Musiker*innen waren mit der Möglichkeit alles selbst zu machen erst mal überfordert, wie funktioniert das denn alles? Und macht es überhaupt Sinn, alles allein zu machen? An diesem Punkt entstanden die damaligen a2n Veranstaltungen für Musiker*innen und die Idee zu einem ständigen Angebot an Beratung und Erfahrungsaustausch für und mit Musiker*innen. Wir stellten damals mit unseren Partnern noisy Musicworld und der Clubcommission einen Antrag für die Einrichtung einer Beratungsstelle für Musikschaffende, wie es sie in ähnlicher Form auch für andere Kultursparten in Berlin bereits gab. Der a2n e.V. wurde dann Träger des Projekts Music Pool Berlin, mit einem festen Team und Büro (heute im House of Music auf dem RAW Gelände), was sich bis heute immer weiterentwickelt hat.
Unsere Formate sind über die Jahre gleich geblieben – Erstberatung, Workshops, Coachings, Community Abende. Die Inhalte und unser Netzwerk entwickeln sich ständig weiter. Wir arbeiten auch oft in Kooperation mit Veranstaltungen wie zum Beispiel der re:publica und geben dort inhaltliche Impulse. Zusammen mit meinem Kollegen Eric Eitel habe ich dort verschiedene Themenstrecken, beispielsweise zu Musik-Infrastrukturen, kuratiert.
Für mich war es ein wichtiger Schritt, dass wir mit der strukturellen Förderung, die bisher immer wieder verlängert wurde, eine nachhaltige und kontinuierliche Arbeit ermöglichen konnten. Dass wir Personalstellen schaffen konnten, mit denen sich unsere Mitarbeiter*innen teilzeit das ganze Jahr hindurch mit Weiterbildungsangeboten für Musiker*innen beschäftigen können und dabei Zeit haben, zu recherchieren und längerfristig Themen zu begleiten und zu entwickeln. Dies empfinde ich im sonst vorwiegend projekthaften und entsprechend prekären Arbeiten im Kulturbetrieb als etwas Besonderes.
Es klang in der Frage zuvor an, der Kulturbetrieb steht unter enormen Druck. Wir sind nach Pandemie und mehreren Inflationsrunden nun – bedingt durch einerseits Weltkonflikte und andererseits innerbundesrepublikanische Politikverwerfungen – an einem bedrohlichen Punkt angekommen, wo massive Kulturförderungskürzungen drohen (siehe geplanter Haushaltsentwurf für 2025). Wie nehmt ihr das wahr? Inwieweit wirkt sich das auf Eure Arbeit aus?
Ja, das nehmen wir auch mit Besorgnis wahr. Wir beraten und begleiten ja auch Musiker*innen bei ihrer Entwicklung von Projektanträgen. Öffentliche Förderung hat in den letzten Jahren einen immer höheren Stellenwert auch für Musikschaffende. Der Popmusik-Sektor, der früher (also 80er/90er Jahre) mal vollständig am Markt agierte, funktioniert mittlerweile auch zumindest anteilig wie andere Kunstsparten über öffentliche Förderung. Förderung gibt es sowohl direkt als Stipendien oder Albumförderung für Musiker*innen, als auch für Musikfestivals und -reihen – also für direkte Unterstützung der künstlerischen Arbeit als auch für Auftrittsmöglichkeiten.
Die Konkurrenz ist bereits jetzt sehr hoch und verschärft sich gerade. Es reichen heute viel mehr Leute Anträge ein, aufgrund gestiegener Kosten und damit verbunden auch einer schwierigeren Marktlage, bei gleichzeitig schrumpfenden Förderbudgets. Das bedeutet, dass gerade weniger etablierte Künstler*innen immer weniger Möglichkeiten haben. Das ist besonders für den Nachwuchs an der Schwelle zum nächsten Schritt ein Problem. Weil bei knappen Budgets gibt es immer Leuchtturmprojekte oder institutionalisiertere Player, die auch beim gleichen Topf beantragen. In der Kombination damit dass auch Clubs und Promoter*innen aufgrund gestiegener Kosten weniger Risiko eingehen wollen, sehe ich hier vor allem für den Nachwuchs/Mittelbau, also unsere Hauptzielgruppe bei Music Pool, große Herausforderungen. Für die freie Szene insgesamt ist die Situation schwierig und ich denke, dass gerade experimentelle Projekte, die ja vielfach im weniger etablierten Feld entstehen, es schwer haben werden – die aber genau diejenigen sind, die interessante Entwicklungen in den Künsten anstoßen.
Als gefördertes Projekt sind wir selbst auch abhängig von öffentlichen Geldern. Wir sind von der Europäischen Union und dem Musicboard Berlin gefördert. Unsere Förderzyklen gehen zwei bis drei Jahre, und es kann natürlich sein, dass es mal nicht verlängert wird. Wir haben auch schon verschiedene Überlegungen angestellt, wie man unabhängiger von öffentlicher Förderung werden könnte, zum Beispiel über ein Genossenschaftsmodell. Alle privaten und mitgliederfinanzierten Optionen würden jedoch wohl eine Verkleinerung des Angebots bedeuten.
Aber zunächst zurück in die Arbeitspraxis des Music Pool Berlin. Eure Erfolgsbilanz kann sich sehen lassen: mehr als 18.000 Musiker:innen wurden beraten. Könnt ihr mal aus der Emperie berichten: Mit welchen Anliegen kommen die Künstler:innen zumeist auf Euch zu?Wie hat man sich den Beratungsprozess vorzustellen? Sind das singuläre Einzelberatungen oder länger angelegte Begleitungsprozesse?
Die Anliegen umfassen ein weites Spektrum: Wie komme ich in die KSK? Wie gehe ich an mein Album Release heran und was muss ich alle beachten? Wie komme ich an Auftritte und buche eine Tour? Wie funktioniert die Gema? Was gibt es beim Schreiben von Förderanträgen zu beachten? Einige haben auch Fragen zur Selbstorganisation und mentalen Gesundheit. Einige kommen mit speziellen Fragen, wie z.B. das Prüfen eines Vertrags, wo wir dann an Jurist*innen in unserem Expertenpool verweisen.
In unserer Inhouse Beratung bei unseren festen Berater*innen (Melissa Perales, Petra Sitzenstock, Laura Gertken, Olaf Möller) können erst einmal alle Fragen gestellt werden, die die jeweilige Person bezüglich ihres professionellen Musikschaffens umtreibt. Meine Kolleg*innen beraten zu allen Themen die sich auf den nicht-kreativen Bereich des professionellen Musikschaffens beziehen. Wie dann der weitere Prozess verläuft, ist abhängig von den Anliegen der jeweiligen Künstler*innen – vielleicht haben sie nur eine Frage und finden sofort Antwort, oder meine Kolleg*innen gehen einen längeren Prozess über mehrere Termine mit ihnen, oder sie verweisen sie an eine Person aus unserem Expert*innen-Pool, die dann zu speziellen Fragen berät und Coachings über uns anbietet. Oder es gibt Workshops oder Community Abende, die die Anliegen der Künstler*in betreffen – dort findet dann auch peer2peer Austausch statt.
Euch geht es um “gemeinschaftsorienterte Konzepte“. Habt ihr denn das Gefühl, dass der zunehmenden ökonomische Druck, der auf den Musiker:innen und Künstler:innen (wie überhaupt im Kulturbetrieb) lastet, eher zu mehr Egoismus und „Survival of the fittest“-Auftreten sorgt, oder eben dass es bei allen ankommt, dass man nur gemeinschaftlich ein kulturelles Klima kultivieren kann, dass für alle Rahmenbedingungen schafft, in denen man mit und von seiner Kunst arbeiten und leben kann?
Letzteres ist das, was wir versuchen mit dem Weitergeben entsprechender Inspirationen und Erfahrungen zu fördern. Unser Anliegen war es von Anfang an, aus dem DIY ein Do-It-Together zu machen. Über unsere Community Abende und Artist Meetups z.B. schaffen wir Orte, an denen sich Musiker*innen verschiedener Szenen und Genres treffen, Kollaborationen finden und austauschen können – und auch Themen gemeinsam diskutieren können.
Wie zum Beispiel unser letzter Community Abend war zum Thema wie wir gemeinsam weiterhin Strukturen für Live Auftritte von Nachwuchsmusiker*innen oder kleinen und auch mittleren Bands schaffen können – in der oben beschriebenen aktuellen, prekärer gewordenen Lage. Bei dieser Diskussion ging es viel um Fragen von Umverteilung: Wie beispielsweise Booking Agenturen mit erfolgreichen Acts Newcomer*innen querfinanzieren können, wie Clubs verschiedene Preisstrukturen je nach Budget anbieten können, wie Promoter*innen mit Supporter Tickets arbeiten und für jedes gekaufte Support Ticket ein günstiges Ticket freischalten etc. Ich denke es wäre toll, wenn man hier mehr noch ein solidarisches Verständnis als Musikszenen hätte – dass finanzieller Erfolg auch bedeutet, andere, die auf dem Weg dorthin sind mit zu unterstützen, so dass alle gemeinsam für interessante, experimentelle und nachhaltige Musikszenen mit Verantwortung tragen. Wir haben auch darüber diskutiert, welche Strukturen es bereits gibt, über die Umverteilung organisiert werden könnte und haben zum Beispiel an die Gema gedacht. Bei der Diskussion hatte ich den Eindruck, dass doch viele Ideen für solidarische Strukturen aufkamen; vielleicht sollten wir hier mal Best Practices zusammenstellen.
Und die gleiche Frage in gewisser Art nochmal – aber statt mit Blick auf die ökonomischen Rahmenbedingungen diesmal mit Blick auf die sozial-politischen Rahmenbedingungen . Die Kulturszene von Berlin ist (mehr als jede andere innerhalb von Deutschland) aktuell gespalten im Nachgang auf die grausamen Massaker der islamofaschistischen Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023. Aus engen Freund:innen und kulturellen Partner:inenn sind nicht selten Konfliktgegner:innen geworden, leider viel zu oft ohne jeglichen Platz für Dialog. Wie empfindet Ihr die Situation in der Stadt? Was bedeutet das für Eure Arbeit?
Ja, wir sehen und diskutieren die Konflikte, die sich durch unterschiedliche Positionierungen und Deutungen in den lokalen Kulturszenen ergeben. Als Beratungsstelle hören wir hier bisher vor allem zu und geben Raum, um Frustration, Trauer und Sorge zu teilen. Das Thema ist dabei bisher eher als Grundstimmung mitgeschwungen, während wir andere Themen im Fokus hatten, sowohl in den Beratungen als auch den Community Abenden. Berlin’s Kulturszenen sind ja sehr international und viele der internationalen Musikschaffenden kommen zu uns als Anlaufstelle, und wir nehmen hier zur Zeit besonders viel Frustration wahr.
Neben der Trauer und Wut über die katastrophale Lage in der Region Gaza, Libanon, Israel, die sich ja noch weiter ausweitet. denke ich, dass der durch die Staatsräson geleitete politische Umgang hier vor Ort zu einer Verhärtung des Diskurses beiträgt: Er führt zu einem Nicht-Sprechen, zu weniger Austausch, zu Verunsicherung und einer Situation, in der sich viele nicht gesehen und respektiert fühlen in ihrer Trauer und unterschiedlichen Narrativen und Bezügen zu dem Krieg, und das umfasst arabische, muslimische als auch jüdische Perspektiven und viele weitere. Und er wirkt auf materieller Ebene – es gab Polizeigewalt gegen migrantisierte Personen und Förderung, Visa, Auftritte und Arbeitsplätze wurden in Frage gestellt – wobei wenig Gespräche und Vermittlungsarbeit stattfanden. Dazu kommt die deutschlandweite Atmosphäre des „wir müssen im großen Stile abschieben“, das ein „du gehörst hier eigentlich nicht hin“ fortschreibt, und das den Rechtsruck stärkt. Ich finde Ebow drückt die Frustration aus migrantisierter Perspektive in ihrem Song “Free” gut aus.
Die ökonomischen Entwicklungen sind mit diesem Thema verknüpft: Denn ich denke es braucht viele verschiedene dezentrale Formate von verschiedenen Perspektiven aus, in kleinem Rahmen und mit sorgfältiger Organisation, um nuancierte und behutsame Herangehensweisen an sensible Themen und unterschiedliche Narrative und auch Raum für Streit und Konflikt zu schaffen. Die anstehenden Kürzungen an der freien Szene beschneiden genau solche Möglichkeiten. Viel mehr als die Konflikte hier, ist mir persönlich wichtig dass dieser Krieg mit seinen katastrophalen Zerstörungen und Tötungen beendet wird und diplomatische und gerechte Wege eingeschlagen werden.
Was sind die großen Herausforderungen für den Music Pool Berlin in den kommenden Jahren?
Die Nachfrage nach Beratung, Weiterbildung und Netzwerk bei uns ist hoch. D.h. wir könnten auch noch mehr machen. Allerdings sieht es ja so aus, als ob Budgets eher stagnieren oder sinken. Wir schauen daher, wie wir unser Engagement und unsere Formate am besten organisieren, so dass möglichst allen Interessierten mit einem Austausch an professioneller Erfahrung weitergeholfen werden kann. Parallel überlegen wir immer auch wie weitere und alternative Finanzierungsmöglichkeiten aussehen können.
Und auch diese Frage nochmals aus einer anderen, positiv besetzten Perspektive: auf welche Projekte / Pläne freut ihr Euch am meisten?
Wir sind derzeit mit dem Musicboard Berlin im Gespräch das in 2024 aufgestellte Pilotprogramm zur Unterstützung der Stipiendiat*innen für die kommende Förderrunde wieder anbieten zu können und auszubauen. Weitere Ideen sind in der Schublade, wie zum Beispiel die Ideen meiner Kollegin Petra Sitzenstock, Live Auftritte von Newcomer Künstler*innen dezidiert mit Workshops und Auftrittsmöglichkeiten zu unterstützen.
Andrea, du warst gerade auf dem Unsound Festival in Krakau, das zuletzt ja auch mit dem Auswirkungen der Gentrifizierung (was zum Verlust ihrer tollen Hotel-Location geführt hat) und der schwierigen Kulturpolitischen Situation in Polen (verbunden mit Kürzungen, die ja auch bei uns derzeit massiv drohen) zu kämpfen hat. Wie hast du die 2024 Edition wahrgenommen?
Das Festival war sehr schön und im Umfang (Venues, Anzahl Künstler*innen, Internationalität, Kollaborationen) denke ich ähnlich wie die vorherige Ausgaben, die ich erlebt habe. Vor welchen aktuellen Herausforderungen das Unsound konkret steht, dazu habe ich leider mit niemandem dort gesprochen. Es gab ein kleines Programm des lokalen Mint Magazins, wo es um Themen wie Kulturpolitik und Gentrifizierung ging, dies fand aber auf polnisch statt. Denen hatte ich das Feedback gegeben, dass mich das auch als internationale Besucherin interessiert hätte.
Letzte Frage: was waren denn deine musikalischen Highlights beim Unsound?
Sehr gefreut habe ich mich dort über das DJ Set und Live Set von DJ E aka Chuquimamani-Condori sowie die DJ Sets von DJ Anderson Do Paraiso und Assyouti.
Ein Song, den ich letztens viel gehört habe: Molly Nilsson, “Ugly Girl”.
Andrea Goetzke arbeitet als Kuratorin und Kulturorganisatorin. Sie ist Mitgründerin von Music Pool Berlin und organisiert nach wie vor das Community Programm mit monatlichen Gesprächsrunden und Artist Meetups. Sie war bereits bei den all2gethernow Veranstaltungen, die Music Pool vorausgingen, als Kuratorin mit dabei. Außerhalb von Music Pool verfolgt sie ihre eigene kuratorische interdisziplinäre Praxis mit vielfältigen Programmen und Kollaborationen.